NCM Moscow: Erfahrungsbericht, Komponentenbewertung und Langzeittest
#1
Prolog


In diesem Bericht schildere ich die ersten Eindrücke meines 29" NCM Moscow plus (16 Ah / 768 Wh) nach sechs Wochen und etwa 1.500 km.

Es soll dem Unentschlossenen eine Hilfestellung bei der Kaufentscheidung geben, mit dem einen oder anderen Vorurteil aufräumen und gleichzeitig als Diskussionsgrundlage dienen mit denjenigen, die ähnliche oder auch ganz andere Erfahrungen gemacht haben.

Zudem werde ich erforderliche Updates posten, denn das Verhalten des Bikes nach längerem und intensiveren Gebrauch wird sicher äußerst interessant.

[Bild: NCM_M.jpg]



Hintergrund


Viele Jahre bin ich Mountainbike gefahren – angefangen mit einem knorrigen Trekker, dann ein ordentliches Hardtail von Trek, gefolgt von einigen Fullys (u.a. Raleigh und Specialized Stumpjumper) und Hardtails (u.a. Focus Bugaboo und Giant XTC).

Irgendwann erlahmte die Motivation: Strecken von mehr als 30 km / 1.000 Hm wurden langsam anstrengend und zudem auch langweilig – in diesem Umkreis kannte ich gefühlt bald jeden Stein. Als meine Frau den Wunsch nach einem eBike äußerte, schien mir das eine willkommene neue Motivation. Eine Einschätzung, so viel sei vorweggenommen, die sich voll umfänglich bewahrheiten sollte.

Nicht ganz unwichtig ist mein absolut zu nennendes Unvermögen als Schrauber. Eine fast abfallende Imbusschraube schaffe ich vielleicht noch festzuziehen, aber das war's dann auch schon. Weshalb ich eine gute Verarbeitung und generell hohe Fertigungsqualität besonders zu schätzen weiß. Sollte man vor diesem Hintergrund ein Realmarkt-Bike kaufen? Eigentlich nicht; aber aus u.g. Gründen bin ich das Risiko doch eingegangen.

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Kauf-Kriterien


Angesichts der Vielzahl von Optionen mit teilweise völlig unterschiedlichen Charakteristika wollte ich es vermeiden, viel Geld für einen Fehlkauf auszugeben; stattdessen wollte ich für möglichst wenig Bares möglichst viel Bike. Die Wahl fiel schließlich auf das Fischer Proline 1608, das in Tests bemerkenswert gut abgeschnitten hatte, und das NCM Prague für meine Frau, die sich schnell in das chice Einsteigerbike verliebt hatte.

Und mir damit an jeder Steigung sowas von um die Ohren fuhr, dass es manchmal peinlich war. Während sie oben breit grinsend ein paar Himbeeren pflückte, quälte ich mich mit dem ansonsten wirklich properen Fischer den Berg hoch und kam irgendwann verschwitzt und atemlos auch an. Da ich aber mountainbiken wollte und nicht Moped fahren, nahm ich den technischen Nachteil als Herausforderung und entschloss mich, das 1608 zu behalten und lediglich an meiner Kondition zu arbeiten.

Bis nach knapp 1.700 km die hintere Bremsscheibe abriss und ein Stück der Aluminium-Abdeckung des Motors mitnahm, auf dem sie montiert war. Wie es zu dem Malheur kommen konnte, weiß ich bis heute nicht, wahrscheinlich hatten sich die Schrauben nach und nach gelöst und die letzte noch verbliebene konnte die Bremsenergie nicht mehr alleine aufnehmen. Da ich die Erstinspektion versäumt hatte, verzichtete ich auf eine Reklamation im Rahmen der Garantie, und weil ich keine Lust hatte, den Sommer mit einem Bike in der Reparaturwerkstatt zu verbringen, war der Entschluss, ein weiteres eMTB zu kaufen, nur logisch.

Aber welches? Ein Haibike? Oder Canyon? Das Ghost HybRide Lector machte mich so richtig an. Aber dann kam ich ins Grübeln: Der Mittelmotor hat ein paar echte Nachteile, und das Prague ging wie's Gewitter. Was sprach also ernsthaft gegen ein Moscow, das nur ein Drittel im Vergleich zu den anderen Kandidaten kostete?

Nichts! Ein Sonderangebot bei Rakuten war in Minutenschnelle gebont, genau eine Woche später wurde das Bike geliefert. Aus der Verpackung mit Miniaufwand fahrfertig gemacht, ging es Mitte Juli erstmals ins Gelände.

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Streckenprofil


Hauptsächlich fahre ich im Siegerland, gelegentlich im Wittgensteiner- oder Sauerland. Hier gibt es nur sehr wenige Höhenzüge, stattdessen hat es Kegelberge (oder "Hügel", wie der Alpinist es sehen würde), die von knapp unter 300 m Grundhöhe auf gut 600 m ansteigen; manchmal weniger hoch, aber hin und wieder auch höher.

Mit individuellen Abweichungen fahre ich üblicherweise Routen mit folgendem Streckenprofil:
  • geteerte Wege: 15%
  • Schotterwege: 10%
  • Feldwege: 15%
  • Waldwege: 55%
  • Wurzelpfade / Singletrails: 5%
Meine große Hausrunde (72 km / 1.914 Hm) geht von Siegen über den Lahnhof zur Siegquelle und dann über die Breitenbachtalsperre wieder zurück, die kleine (44 km / 1.581 Hm) verzichtet auf ein paar Schlenker und die Talsperre und geht auf einem anderen Weg zum Lahnhof. Für die große brauche ich etwa 4 Stunden und eine halbe Akkuladung, die kleine ist in zweieinhalb Stunden erledigt.

Generell ist das Bike für mich ein reines Sport- und Freizeitgerät, auf dem ich vom beruflichen Alltag regenerieren kann. Kurze, krachende Trails sind nicht so meins, ich mache lieber Strecke.

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Komponenten

Schaltung: Shimano Acera. Ich hatte noch nie eine Schaltung unterhalb der Deore und wollte eigentlich zeitnah upgraden. Auf den ersten 300 km schien sich dieser Entschluss zu bestätigen: Die Kette sprang nervös auf der Kassette herum, irgendwann war ich meine hilflosen Einstellversuche leid und schaltete nur noch vorne. Als der Monteur im Rahmen der 300-km-Inspektion jedoch eine saubere Justierung vornahm, änderte sich das Bild: Es gibt seitdem keinen Grund mehr zur Beanstandung. Natürlich schaltet eine XT auch bergauf unter Last immer noch sauber und geschmeidig, was die Acera wirklich nicht kann. Aber wenn man etwas vorausschauend fährt, kommt man nicht in eine solche Situation. Und die "normalen" Schaltprozesse erledigt die Billigschaltung so unauffällig wie zuverlässig.

Bremsen: Anfänglich etwas quietschig auf der Hinterachse, bremst die Tektro seit der Einstellung im Rahmen der 300-km-Inspektion ganz hervorragend. Auch hier gilt: Für mehr Geld gibt's mehr Leistung, aber für das, was ich brauche, ist die Auriga Comp völlig ausreichend. Und das ist deutlich mehr als Flachland-Teerstraße.

Federgabel: Die Suntour XCM 30 ist sicher keine High-End-Gabel, tut aber ihren Dienst. Ein Upgrade ist derzeit nicht geplant.

Reifen: Bis dato hatte ich noch keine Smart Sam. Nach 1.500 km damit bin ich aber echt begeistert – außer bei grobem Schotter wirkt Sam stets souverän. Auch der Verschleiß scheint erfreulich gering, insgesamt also ein echter und sehr leistungsfähiger Allrounder für kleines Geld. Dennoch werde ich beim irgendwann fälligen Wechsel den Nobby Nic auf's Vorderrad montieren, um dort ein etwas höheres Gripniveau zu generieren.

Sattel: Der Selle Royal Lookin ist ein kleines Sahnestückchen. Optisch durchaus ein Hingucker, ist er jedenfalls für meinen Hintern wie gemacht.

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Fahren im Gelände

Mein Anspruch an das Bike war absolut eindeutig: Ich wollte ein MTB mit Unterstützung, keinen Boulevard-Cruiser in MTB-Optik. Genau aus diesem Grund hatte ich lange gezögert, ein Nicht-Premium-MTB zu kaufen. Und gerade hier muss man NCM ein Riesenkompliment machen, denn das Moscow ist auch ohne Motor ein sehr ordentliches Mountainbike.

Klar, die Komponenten von der Schaltung bis zur Gabel sind bestenfalls zweitklassig; um Billigkram aus China handelt es sich indes aber auch nicht. Da ich das Bike zwar fordere, aber weder mit 30 km/h durch den Wald shreddere noch Kunststückchen im Bikepark fabriziere, habe ich sie bislang noch nicht an ihre Grenzen gebracht. Jedes "Mehr" wäre also nicht nur entsprechend teurer, sondern tatsächlich oversized.

Was man merkt, ist das gewaltige Gewicht. Aber wenn ich mit einem VW Tuareg im Gelände fahre, kann ich nicht die Eigenschaften eines Iltis erwarten. So muss der eine oder andere Wurzelpfad halt links liegen bleiben: Man kann eben nicht alles haben. Und man hüte sich vor Tragepassagen. Auch das natürlich keine Überraschung.

Vor dem Hintergrund all dessen macht das Moscow eine recht gute Figur auch abseits planierter Wege. Einen erhöhten Wartungsaufwand muss man jedoch einkalkulieren, und wie sich das Bike nach 10 oder 20 Tkm anfühlt, bleibt abzuwarten.


Verhalten am Berg

An Steigungen schlägt die Stunde des Mittelmotors. Sagt man. Kann sein, ist bestimmt so, aber dann im alpinen Bereich. Im Mittelgebirge, wo ich fahre, war ich bisher stets "King of the Road". Wenn es zu einem kleinen Rennen kam (und ich gehe keinem aus dem Weg!) mit Haibikes, Cubes, Canyons oder anderen Premium-MMs, hatte ich bisher IMMER die Nase vorn. Ausnahmslos. Ein Bekannter mit seinem Specialized Turbo Levo schleppt grundsätzlich einen Ersatzakku mit sich rum und braucht den auch, um die gleiche Distanz fahren zu können wie ich. Und die Jungs, die mit gerissener Kette und ratlosen Gesichtern am Wegesrand stehen, habe ich schon aufgehört zu zählen. Auf extrem zerfurchten Steilstichen wird es langsam eng, aber wer wie ich hauptsächlich lange Ausdauer-Touren fährt und nicht mit Gemsen konkurrieren will, ist bestens bedient mit dem Moscow+.


Auf geteerten Wegen


Ich suche sie nicht, die geteerten Wege, aber man kann sie auch nicht ganz vermeiden. Das Moscow gleitet über die hinweg, ob mit oder ohne Motorunterstützung, und lässt einen Hauch von Hoovercraft-Feeling verspüren. Als Eisdielen-Racer ist es zwar viel zu schade, aber perfekt geeignet.


Fahren ohne Motor

Vielleicht die größte der positiven Überraschungen war für mich die Geschmeidigkeit, mit der das Moscow ohne Motorunterstützung fährt. Da ich bei Gefälle und auf den meisten Geraden den Motor ganz ausschalte, passiert es mir nicht selten, dass ich die fehlende Unterstützung gar nicht bemerke. Klasse gemacht, Leon Cycle!


Fahren mit Motor

Das Ansprechverhalten des Motors mit dem C7-Display ist, gelinde gesagt, gaga. Nach dem Einschalten schießt das Rad nach vorne wie bei einer Sturmböe, was zwar Spaß macht, aber völlig unnötig ist. Aber wie lange es dauert, bis die Unterstützung nach z.B. einer Senke, wenn es wieder bergan geht, einsetzt, überschreitet jede Toleranz. Gleiches gilt, wenn man mal kurz aufhört, zu pedalieren.

Schuld ist, wie in diesem Forum verschiedentlich (und sehr ausführlich und kompetent, btw.) erörtert wurde, das Display bzw. der Controller. Kann man austauschen, gegen ein altes (!) B6, aber das kann doch keine Lösung sein. Man muss es ganz klar benennen: Die Programmierung des C7 ist eine Zumutung und Spaßbremse ersten Ranges, das die Freude an diesem wirklich ganz hervorragenden eMTB so erheblich wie unnötig trübt.

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Vorläufiges Fazit

Die Entscheidung, dem NCM Moscow plus den Vorzug zu geben vor einem Premiumbike mit Mittelmotor, habe ich bisher keine Sekunde bereut. Das Moscow ist ein klasse MTB, optisch top, technisch auf der Höhe der Zeit, durchdacht konstruiert, gut verarbeitet und ein absoluter Preis-Leistungskracher.

Es macht unglaublich viel Spaß, mit dem Bike zu fahren.

Ob dieser rundum positive und nur durch wenige Kleinigkeiten getrübte erste Eindruck auf Dauer hält, ist eine spannende Frage, die in den kommenden Monaten wohl beantwortet werden kann.
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Moscow+ 29" / 13.744 km (nur offroad)
Moscow +29" / 4.115 km
Moscow 36V 29" / 6.362 km

Mondraker Crafty XR | Cube Stereo Hybrid Pro
TurboAnt Thunder T1 | Mondraker Factor XR
Stevens E-Pordoi | Husqvarna MC8 | Diavelo e525m






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NCM Moscow: Erfahrungsbericht, Komponentenbewertung und Langzeittest - von Fullface - 25-08-2018, 14:21

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