Ob ich mir noch einmal ein NCM-Bike kaufen würde?
Da habe ich eine sehr eindeutige Antwort: Kommt drauf an!
Seit ich vor etwas mehr als vier Jahren ein Moscow für mich und ein Prague für meine Frau gekauft habe, ist unser Fuhrpark auf heute 17 eBikes angewachsen. Davon 11 Hardtails mit Heckmotor und 6 Fullys mit Mittelmotor. Vom chicen Stadtradl bis zum reinrassigen Enduro, vom braven Trekker bis zum bösen Dirtbike, vom leichtfüßigen Touren-Fully bis zum fetten Fatbike ist (fast) alles dabei.
Das Moscow, das in 4-facher Ausfertigung (immer Plus, aber jedes ziemlich anders) hier steht, ist in dieser Klassifizierung noch gar nicht dabei – es ist die eierlegende Wollmilchsau, denn es kann so ziemlich alles. Okay, auf richtige Trails oder gar Bikeparks würde ich es nicht schicken, kein Hardtail mit Heckmotor wird da älter als 5 Minuten. Aber ansonsten ist das Moscow der absolute Allrounder und kann mit wenigen Maßnahmen den individuellen Anforderungen seines Besitzers perfekt angepasst werden.
Alle vier Moscow zusammen haben eine Laufleistung von fast 30.000 km, rechnet man das Milano und das Prague noch hinzu, sind es rund 35.000 km. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen möchte die Eingangsfrage so differenziert beantworten, wie sie es verdient.
Zunächst einmal muss sich jeder darüber klar werden, was er/sie will und was er/sie braucht. Das stimmt in erschreckend vielen Fällen nicht überein. Ich habe tatsächlich schon mal einen 73-Jährigen Rentner getroffen, der mit einem Santa Cruz Heckler zweimal in der Woche zur Eisdiele fuhr – und sonst nichts damit machte! Der wusste nicht einmal, dass es ein Santa Cruz war, der dachte, es sei ein
Heckler (wahrscheinlich & Koch, weil's um die Ecke fährt), Modell
Santa Cruz. Keine Ahnung, wie es der Händler geschafft hat, dem ein 13TE-Bike anzudrehen, mit einer hydraulischen Sattelstütze, die der stolze Besitzer zum Auf- und Absteigen benutzte.
Aber ich schweife ab. Nur um zu sagen, dass "teuer" nicht zwangsläufig "besser" sein muss. Wer sein Auto für Familienfahrten benötigt, ist mit einem Formel-Renner auch nicht besser bedient als mit einem Golf. Unter diesem Aspekt möchte ich mit ein paar Vorurteilen widmen:
Vorurteil 1: NCM baut Billig-Bikes
Das bestreite ich vehement. Billig-Bikes rappeln und klappern schon vor der Auslieferung, sind unsauber verschweißt, brechen schon bei geringer Belastung zusammen. NCM-Bikes hingegen sind bemerkenswert robust. Die häufige Meckern über
"Stahlschrauben in Alu" zeugt von tendenzieller Ahnungslosigkeit, denn die findet man auch in erheblich teureren Bikes.
Vorurteil 2: NCM-Bikes haben eine minderwertige Ausstattung
Alle Komponenten an den NCM-Bikes stammen von etablierten Markenherstellern. Shimano, Suntour, Schwalbe, Tectro etc. pp. Meist die günstigen Baugruppen, sowas wie Golf-Klasse. Kann man alles upgraden, aber minderwertig ist das keineswegs.
Vorurteil 3: NCM-Bikes sind anfällig für Reparaturen
Das Gegenteil ist der Fall. Zwar sind direkte Vergleiche schwierig (mit dem Crafty mache ich meterlange Sprünge und heize den Bikepark runter, klar muss das alle Nase lang zum Service), aber außer dem Wechsel der Bremsbeläge brauchen die NCM-Bikes so gut wie keine Zuwendung.
Vorurteil 4: Heckmotore sind eine veraltete Technologie
Blödsinn. Purer und kompletter Blödsinn. In Wahrheit fahren 80 % aller eBiker einen für sie falschen, nämlich einen Mittelmotor. Der ist prädestiniert für sportliches Fahren, starke Steigungen (ab ca. 15 %) und immer dann, wenn ein Fully gebraucht wird. Die weitaus meisten eBiker aber fahren nicht auf dem Trail und/oder Bikepark und auch keinen Alpencross. Hingegen sind Heckmotore nicht nur kettenschonend und erheblich wartungsärmer, sondern für weniger ambitionierte Fahrer auch viel angenehmer zu fahren.
Vorurteil 5: Mit NCM-Bikes findet man keine Reparatur-Werkstatt
Das stimmt und beschreibt eines der größten Probleme, das fast alle sog. "Internet-Bikes" haben, so auch NCM. Solange es sich um rein mechanische Arbeiten handelt, kann man in aller Regel noch eine Werkstatt finden, bei Problemen an der Drive-Unit schütteln aber so gut wie alle Werkstätten den Kopf. Da hilft nur noch dieses (allerdings äußerst kompetente!) Forum hier und einiges an DIY. Wer da passen muss, muss also bei Leon Cycle selbst anklopfen. Und dann?
Vorurteil 6: NCM bietet grottigen Support
Ist das so? Ich selbst kann das nicht bestätigen, aber viele auch hier im Forum berichten ausgesprochen negative Erfahrungen in diesem Bereich. In jedem Fall scheint da noch eine Menge Luft nach oben.
Würde ich mir also heute noch einmal ein NCM-Bike kaufen? – Im Vergleich zu 2018, als ich mein erstes Moscow erworben habe, hat sich mein Fahrprofil erheblich verändert, ist auch wesentlich spezialisierter und erfordert fast immer ein Fully. So etwas hat NCM nicht im Programm, und selbst wenn, wäre es wohl nicht so ausgestattet, wie ich es brauche.
Ich bin und bleibe allerdings ein Fan von eben diesem Moscow, das sich also ebenso robustes wie unerschrockenes Bike erwiesen hat und mit minimalstem Pflege- und Wartungs-Aufwand stets zuverlässig jeden Blödsinn mitmacht, den ich ihm zumute. Das 2018er hat fast 14T km auf dem Tacho, kaum Teerwege gesehen, viel Bodenkontakt, und dennoch rappelt und klappert nix. Nicht weniger positiv übrigens das Urteil über Prague und Milano.
In Sachen Kosten-/Nutzenverhältnis spielen die NCM-Bikes nicht nur in einer anderen Liga, sondern in einem anderen Universum. Inwieweit das auch auf andere Marken, die ähnliche Fahrräder anbieten, zutrifft, kann ich nicht beurteilen, weil ich diesen Markt nicht so genau beobachte. Aber wenn ich heute nochmal so etwas wie ein Moscow bräuchte, dann würde ich ohne zu zögern genau ein Moscow kaufen, getreu dem Motto:
Da weiß man, was man hat!